Erinnerungen

von Leo Quade (t)


Durch Zufall wurde ich auf diese Seite aufmerksam.

Da Vieles aus der Endkriegszeit 1944/1945 und später fehlt, werde ich mich bemühen, eigene Erlebnisse aus dem Gedächtnis abzurufen.
Darüber sind Jahrzehnte vergangen. Vielleicht sind Namen und Jahreszahlen nicht ganz korrekt.
Ergänzungen der Erlebnisgeneration an den Webmaster sind erwünscht.



Kriegsende

Ich bin 1945 auf der Flucht von Breslau/Schlesien mit meinen Eltern nach Leipzig verschlagen worden. Unser Ziel war Espenhain, weil dort meine Schwester (Marianne) im Hauptlabor als Chemotechnikerin während des Krieges beschäftigt war.

Manche Bombenangriffe, kurz vor Kriegsschluss im Jahre 1945, haben wir im Gleisdreieck in der Nähe der Gleichrichterhalle in den dort angelegten Luftschutzstollen zitternd vor Angst überlebt. Die hohe Erdüberdeckung und der fachmännische Ausbau gab den Schutzsuchenden eine gewisse Sicherheit. In einer Nacht fiel eine Fliegerbombe vor einen Stolleneingang. Die Holztreppenstufen herunter zu hasten war ein Horror.

Zwischen Fliegeralarm und Bombenangriff blieb nur wenig Zeit. Durch die sogenannten Christbäume, die Zielmarkierungen, war die Umgebung nachts hell beleuchtet. Gegenmaßnahmen durch Anzünden von Schwefelfässern nützten wenig.

In einer Nacht fielen auch Bomben auf das Dorf Espenhain und die Umgebung der Gaststätte "Aspe". Es waren etliche Tote zu beklagen. Sie wurden auf dem Friedhof neben der Dorfkirche beigesetzt.

Am 8. Mai 1945 marschierten die amerikanischen Soldaten in Espenhain ein. Etliche Häuser waren mit weißen Bettlaken "beflaggt". Das war noch einen Tag davor bei Androhung der Todesstrafe verboten. Am Vormittag war noch der Geschützdonner aus der Umgebung von Borna zu hören. Flieger beendeten den Wahnsinn.

Der erste Bürgermeister hieß Peters, ein ehemaliger Gegner des Regimes vor 1933. Er war ein umsichtiger Mann und Flüchtling aus dem Sudetengau.

Neben dem Bahnhof war ein bis zum Rand gefülltes Getreidesilo, das mit seinem Inhalt vor dem Einzug der Besatzer gesprengt werden sollte.
Der dortige Verwalter verfügte für jede Espenhainer Familie die Aushändigung von 1 Ztr. Weizen. Das hat uns später über die erste Not hinweg geholfen. Der Brei aus Wasser und Weizenkleie, mit der Kaffeemühle zubereitet, schmeckte uns Hungernden köstlich.
Der Mann war ein Held.

Die Soldaten ließen verschieden Wohnungen in Espenhain für ihre eigenen Unterbringung vorübergehend räumen.
Auch ich wurde mit meinen Eltern im verwanzten Lager 1 neben der Aspe untergebracht. Mit verbranntem Schwefel versuchte man, das Ungeziefer zu vernichten. Es gelang immer nur für kurze Zeit. Die Wanzenbisse waren auf dem ganzen Körper durch große Beulen sichtbar.

Der Betrieb und das Kraftwerk Espenhain (ASW) hatte die Produktion auch wegen der Zerstörung durch die Fliegerangriffe eingestellt. Der Tagebau mit Förderbrücke und Baggern blieb weitgehendst unzerstört.

26. Februar 2012   L.Q.

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Nachkriegszeit

In den ersten Nachkriegswochen begann der Kampf um das tägliche Überleben. Wir hatten zwar Lebensmittelkarten, aber die Versorgung mit dem Notwendigsten war nicht mehr möglich. Die Produktionsstätten waren zerbombt oder noch nicht in Betrieb. Anstelle der abrückenden Amerikaner kam die Rote Armee. Sachsen wurde sowjetisch besetzte Zone. Der Reparationsabbau von Industrieanlagen verschärfte die wirtschaftliche Situation.

Um die bepflanzten Felder zu schützen, wurde von der neuen Gemeindeverwaltung ein sogenannter Flurschutz eingerichtet. Mit dicken Knüppeln bewaffnet waren wir nachts zum Schutz der bebauten Felder und Ställe unterwegs. Es kam dabei oftmals zu grotesken Situationen. Auf den abgeernteten Feldern gehörte „Kartoffelstoppeln und Ährenlesen“ zum Alltag. Das Geld, die Reichsmark, war nichts mehr wert. Eine Zigarette kostete 2 RM. Wertsachen waren gefragt. Dafür bekam man Kartoffeln und Brot. Die vielen Flüchtlinge, die alles in ihrer Heimat zurücklassen mussten, litten besonders unter den schlimmen Zeiten. Die Jugend vom Dorf Espenhain traf sich einmal in der Woche in den Räumen des Kindergartens in der sogenannten „Antifa“ – Gruppe.

Wir sangen alte Volks- und Wanderlieder, spielten Theaterstücke von dem Autor „Hans Sachs“ und zum Schluss der Zusammenkunft wurde getanzt.
Walter F. spielte auf dem Akkordeon meisterlich Schlagermusik. Die „Capri–Fischer“ standen hoch im Kurs. Leiter der Gruppe, ein früheres Mitglied der „Wandervögel“ (SPD Jugendgruppe), war Herbert Flügel. Er brachte uns kostenlos das Gitarren- und Mandolinenspielen bei. In seiner Wohnung am Anfang der Siedlung konnten wir die Zupfmusik erlernen. Die Noten schrieb er selbst. Von einem befreundeten Musikalienhändler in Leipzig besorgte er die Instrumente. Nach Unterrichtsschluss, zu nachtschlafender Zeit, zogen wir dann singend und spielend durch die Siedlung in Richtung unserer Unterkünfte.
Elfriede F. spielte mit Begeisterung den Fantasiemarsch: „Das Gummibein“. Für den Takt hatten die Gitarrenspieler zu sorgen. Die Melodie habe ich bis heute nicht vergessen. Die Anwohner klatschten Beifall.

Es hat Spaß bereitet, wenn wir für die Einwohner bunte Abende gestalteten. Sie fanden in dem baufälligen Saal der „Aspe“ statt. Was mag aus den Freunden und hübschen Mädchen der Jugendgruppe geworden sein? Ich erinnere mich noch besonders an Erika S. und die nette Bäckerei-Verkäuferin Erika K., die in Böhlen neben dem Bahnhof beschäftigt war. Beide wohnten in der Espenhainer Siedlung.

Aus der Instrumentalgruppe entstand nebenbei eine zünftige Tanzkapelle (Akkordeon, Violine, Gitarre und Schlagzeug). Mit einem kleinen Leiterwagen, beladen mit unseren Musikinstrumenten, zogen wir „per pedes“ u. a. nach Mölbis und Thierbach und musizierten dort bei Hochzeiten und anderen Gelegenheiten. Die Musikstücke spielten wir aus dem Radio nach. Als Gage konnten wir uns zwischendurch immer wieder einmal richtig satt essen. Beliebt und begehrt waren Feste bei Landwirten. Unser Geiger mit seinen tollen Locken wurde von den Mädchen umworben und angehimmelt. Die Jugendgruppe wurde später von der FDJ übernommen. Sie löste sich 1946 auf.

Wir alle warteten auf die Wiederaufnahme der Produktion in den ASW-Werken Böhlen und Espenhain. Dort war die Restbelegschaft und Kriegsheimkehrern mit Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten beschäftigt.

29. März 2012    wird fortgesetzt     L. Q.

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Lehrzeit 1945 - 1948

Endlich war es soweit. In der Lehrwerkstatt Espenhain wurde im Oktober 1945 der Betrieb wieder aufgenommen.
Überschattet wurde der Betriebsbeginn durch einen tödlichen Unfall im Kraftwerk. Ein Ing. aus Dresden (Kierdorf) stürzte von einer oberen Kesselplattform in einen defekten, nicht abgesicherten Aufzugschacht.

Die Einstellung zurückkehrender junger Soldaten wurde begünstigt. Da ich Gymnasiumabgänger war, erhielt ich eine Praktikantenstelle für zwei Jahre. Der damalige Ausbildungsleiter Herr Aptika wandelte meinen Vertrag aber dann, auf meinen Wunsch, in eine dreijährige Lehrzeit zum Betriebselektriker um. Wochenarbeitszeit Montag bis Samstag.

Der Tariflohn betrug im 1. Lehrjahr 10.-- RM, im 2. Lehrjahr 20.-- RM, im 3. Lehrjahr 40.--RM. Für die noch gültige Währung aus der Kriegszeit konnte man kaum etwas kaufen.

Zur Berufsschule mussten wir die erste Zeit nach Böhlen. (Schulleiter Herr Funk )

Wie in allen Lehrwerkstätten üblich, begann die Lehre für alle Fachrichtungen mit dem dreimonatigen Grundlehrgang.Das war: " U - Eisen bearbeiten, S hämmern. Meißeln, Sägen usw. Für die noch Ungeübten und z.B. Rechtshänder war das linke Handgelenk immer blutig. Aber Übung macht den Meister! Bald hatte man den Bogen raus. Die Werkzeuge wurden wie Kostbarkeiten behandelt. Ersatz gab es nicht. Auch das Autogen - und Elektroschweißen brachte man uns bei. Eine solide Grundausbildung.

Herr Aptika wurde von Herrn Georg Peuker abgelöst. E-Lehrer war Herr Friedrich. E-Ausbilder waren die Meister Herr Steiner und Herr Herbert Nebel. Um die Schlosserlehrlinge bemühte sich Herr Tusche.

Nach Arbeitsende bauten wir für den Eigenbedarf Zuckerrübenpressen für die Sirupherstellung. Wohl dem, der auf dem Schrottplatz eine alte Schraubstockspindel organisieren konnte. Das war das wichtigste Zubehörteil.

Sirup war in der Nachkriegszeit der wichtigste und oftmals einzige Brotaufstrich. Auch der Tabakherstellung wurde viel Zeit gewidmet. Jeder, der einen kleinen Garten zu hause hatte, baute Tabakpflanzen an. Für die später geernteten Blätter und Stengel hatte zur Bearbeitung jeder Raucher ein Spezialrezept.

Die Versorgungslage der Espenhainer Werktätigen wurde später besser. Sie wurden mit Sonderrationen bevorzugt beliefert. Wer nicht in einem Kohlebetrieb arbeitete hatte das Nachsehen.

Bei der Zuteilung war auch oftmals Pferdefleisch dabei. Wenn man Hunger hat, gewöhnt man sich an alles. Wichtig war für die Erwachsenen die Belieferung von 1 l Bergmannsschnaps ,im Volksmund "Kumpeltod" genannt pro Monat und 100 Zentner Braunkohlebriketts pro Jahr. Damit konnte man gegen andere Waren eintauschen. Wir Lehrlinge waren mit 50 Ztr. gut bedient.

Auch die weiblichen kaufmännischen Lehrlinge mussten den Grundlehrgang in der Lehrwerkstatt durchlaufen. In der Werkzeugausgabe wurde von ihnen nach "Gewichten für die Wasserwaage" verlangt. Ein Scherz, den aber bald alle Neulinge kannten.

Unser Ausbilder Herr Steiner war neben seiner Tätigkeit als Starkstromelektromeister ein qualifizierter Radiobastler. In einem ehemaligen Wehrmachtslager wurden Radioröhren enddeckt. Mit der sogen. Wehrmachtsröhre "RV12 P2000" konnte man durch entsprechende Schaltung jede herkömmliche Radioröhre ersetzen. Alte Radios wurden ausgeschlachtet und mit der "Wunderröhre" neu verbaut. Das Radiogeschäft blühte. Natürlich spielte sich das alles nach dem offiziellen Tagesablauf ab.
Nach einem speziellen Versetzungsplan durchliefen wir alle Abteilungen im Werk und durften bald mitreden. Beliebt waren die Telefonwerkstatt im Standort Kraftwerk (Herr Pedow) und die Förderbrücke(Obermeister Trandorf). Die Berufsschule fand dann auch später in werkseigenen Räumen in Birkenhain statt.

Erwähnt werden sollte noch das 1948 in der Lehrwerkstatt gegründete Jugendgericht. Das Motto lautete: "Nicht bestrafen - sondern erziehen!" Die sogen. 5 "Richter und Beisitzer" waren selbst Lehrlinge aus allen Fachrichtungen. Vorsitzender war R.S. Kleine Vergehen aus dem täglichen Arbeitsleben wie Diebstähle und Rangeleien sind hier behandelt worden. Verteidigen musste sich der Angesprochene selbst.

Was später im Großen in der DDR daraus geworden ist, haben viele Bürger selbst schmerzhaft miterlebt. Es bedarf keiner zusätzlichen Stellungnahme.

Am 20.Juni 1948 erfolgte in den Westzonen die Währungsreform. Die SBZ zog am 23. Juni nach. Da das neue Geld hier erst gedruckt werden musste, wurden die alten Scheine mit Coupons beklebt. Jeder erhielt 70 Mark nach neuer Währung sofort ausbezahlt. Durch die Zwangsbewirtschaftung verbesserte sich der Lebensstandard jedoch nicht spürbar. Die Auslagen in den Geschäften waren immer noch im Gegensatz zum Westen sehr bescheiden.

Im Herbst 1948 legte ich die schriftliche und praktische Gesellenprüfung vor einer Leipziger Prüfungskommission ab. Praktische Prüfungsaufgabe: Eine komplizierte Antriebssteuerung nachgebildet auf einem Brett und Feilen eines Kontaktfingers.

Ich hatte bestanden und wurde Elektriker auf der Förderbrücke. Mein erster Stundenlohn betrug 1,03 Ostmark/Std., der sich zwei Jahre nicht wesentlich änderte. Ausgezahlt wurde bar in Papiertüten.

Die Abschlussfeier fand im Gasthof Hain mit "Kaninchenbraten" und Bergmannsschnaps statt. Unseren mit eingeladenen Freundinnen wurde es anschließend übel, als sie erfuhren was sie gegessen hatten. Einer der Organisatoren konnte den Mund nicht halten.
Den nächtlichen Fußmarsch nach Hause hatten wir uns ganz anders vorgestellt.

19.04.2012 Wird fortgesetzt! L. Qu.

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Die Förderbrücke im Tagebau

Sie wurde im November 1944 in Betrieb genommen und trug die Nr. 17. Am 6. Mai 1997 wurde sie nach 53-jähriger Betriebszeit gesprengt. Zu meiner Berufszeit war sie ein Wunderwerk der Technik.

Hochspannung, Gleich und Drehstrom, Schwachstrom - alles vorhanden . Ein Traum für jeden damaligen Handwerker, der sie bedienen und warten durfte.

Ein Nachteil war, dass man zu seinem Arbeitsplatz, je nach Standort, oft weit laufen musste. Der schönste Platz war auf dem oberen Kommandostand, von dem man eine herrliche Aussicht über den ganzen Tagebau hatte. Den Kolloss mit Knopfdruck zu bedienen war schon eine große Herausforderung und bedurfte meisterlichen Könnens.

Die Mannschaft der Brücke war ein eingeschworenes Team. Als Neuling in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, war sehr schwer. Das hing auch mit der Einstellung verschiedener Kollegen zusammen, die offen die Werkleitung kritisierten. Ersatzteilmangel und Versorgungsschwierigkeiten waren ein ständiges Thema. Da war es nicht verwunderlich, wenn man auch neuen Mitarbeitern kritisch gegenüber stand.

Improvisieren war das Zauberwort. Hier hat man es gelernt. Ich habe an die dort verbrachte zweijährige Zeit als Betriebselektriker (1948 bis 1950) nur noch wenig Erinnerungen. Chef der Anlage war Direktor Hommel. Die E-Abteilung unterstand Obermeister Fahrendorf.

Ich habe aber während dieser Zeit viel erfahren. Das hat mir später als junger Elektroingenieur auf der Förderbrücke in Spreetal/Niederlausitz sehr geholfen.

Ein Vorfall hätte mich bald einmal das Leben gekostet. Die Elektroeinspeisung erfolgte über zwei 6 kV (6000 Volt) Kabel auf zwei Ebenen. Der E Schichtführer gab mir die Anweisung an der angeblich abgeschalteten Trasse die Trennmesser zu ziehen und die Einspeisung zu erden. Ich begab mich auf den Weg um die Anordnung auszuführen. Am Einspeisungsort angekommen, hangelte ich mich am Hochspannungskabel hoch und bemerkte, dass die Zuleitung ganz warm war. Hochspannungsprüfer gab es damals noch nicht, also kehrte ich um und berichtete davon meinem Schichtführer. Es stellte sich heraus, dass er mich zu der falschen Einspeisestelle geschickt hatte. Ein Versehen, dass schlimm hätte enden können.

Zur fast gleichen Zeit gab es einen Todesfall in der Brikettfabrik. Hier wurde ein Mitarbeiter zum Säubern einer Hochspannungszelle beordert, die noch nicht abgeschaltet war. Die Vorfälle führten dann zu schriftlichen Schaltbefehlen, die gegengezeichnet werden mussten.

L.Qu. Juli 2012 wird fortgesetzt




Ein letztes Glück Auf!

Leo Quade konnte die Aufzeichnung seiner Erinnerungen nicht weiterführen.
Er starb am 27. November 2012.

R.I.P.
M.F.

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